VSO Sven Laumer: "Wir sitzen alle in einem Boot"
Der Online-Neulingskurs für Schiedsrichter ist eine während der Corona-Pandemie entstandene Erfolgsgeschichte. In diesem Jahr erhielt das Projekt jedoch einen Dämpfer, denn sehr viele Neulinge sind durch die Prüfung gerasselt oder haben erst gar nicht an dieser teilgenommen. Verbandsschiedsrichterobmann Sven Laumer nennt Erklärungen.
Guten Tag Herr Laumer, Sie leiteten Anfang des Jahres erneut einen Online-Neulingskurs für Schiedsrichter. War der Zuspruch für diese Veranstaltung ungebrochen groß, oder geht das Interesse zurück?
Sven Laumer: Der Zuspruch ist weiterhin sehr groß, der jüngste Kurs hatte eine Rekordzahl bei den Anmeldungen. Was wir dennoch feststellen mussten, ist die Tatsache, dass die Zahl bei denen, die am Ende auch tatsächlich an der Prüfung teilgenommen haben, abgenommen hat. Trotzdem sehe ich die Gesamtentwicklung absolut positiv. Jeder, der sich auch ohne Prüfung mit den Regeln beschäftigt hat, bringt am Ende ein besseres Verständnis für die Schiedsrichter*innen mit. Klar ist, dass wir uns mehr Prüfungsteilnehmerinnen und -teilnehmer gewünscht hätten.
Am Ende sollen jedoch viele Anwärter die Prüfung im ersten Versuch nicht bestanden haben. Haben Sie dazu Zahlen, wie viele Teilnehmer es gab und wie viele davon durchgefallen sind?
Sven Laumer: Wir hatten 532 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich zum Lehrgang angemeldet hatten. Zur ersten Prüfung sind 175 nicht angetreten. Dieser Anteil ist deutlich größer als in den Vorjahren. Ein Drittel, hat auf Anhieb bestanden,. Der Anteil der „Durchfaller“ ist somit höher als in den vergangenen Jahren. Hier braucht es eine fundierte Ursachenforschung, ebenso gehen wir der Frage nach, warum einige während des Kurses sozusagen ausgestiegen sind.
Können Sie diese Quote der nicht bestandenen Prüfungen erklären?
Sven Laumer: Auf den ersten Blick nein. Denn wir haben im Vergleich zu den Vorjahren keine gravierenden Änderungen vorgenommen. Das Konzept ist durchdacht und sehr erfolgreich. Auch das Referentinnen- und Referenten-Team war sehr gut, viele waren auch in den Vorjahren schon dabei. Das Team hat sich letztlich sehr intensiv mit den Fragen im Forum beschäftigt und die Teilnehmenden sehr intensiv betreut. Die Webinare waren gut besucht und wir hatten auch dort immer eine rege Diskussion über Fragen im Chat. Sprich: Das Team hatte wie immer vollen Einsatz gezeigt und sich sehr engagiert mit den Teilnehmenden und deren Fragen auseinandergesetzt. Daher ist die Frage natürlich auch für uns spannend. Wir haben das inzwischen sehr intensiv analysiert, weil auch wir nicht mit der Quote zufrieden waren.
Uns ist beispielsweise aufgefallen, dass diejenigen, die nicht bestanden haben, häufig auch viele Fragen falsch beantwortet haben und damit deutlich das Ziel verfehlt haben. Daher hatten wir uns nochmal im Detail angeschaut, wie sich diese Personen mit unseren Online-Materialien beschäftigt haben. Auch hier mussten wir feststellen: Das war nicht so intensiv wie in den Jahren davor. Auch hatte das Angebot für eine Testklausur nur ein Fünftel des Lehrgangs wahrgenommen und vor allem die, die nicht bestanden haben, hatten die Testklausur nicht absolviert. Dabei hatten wir nach der Testklausur die Möglichkeit weiter offen gelassen und auch alle explizit auf diese gute Möglichkeit der Vorbereitung hingewiesen. Spannend war auch, wie viele E-Mails am Prüfungswochenende kamen, dass man keinen Zugang zum System hatte. Das zeigt uns, dass das Interesse, sich mit den Regeln wirklich zu beschäftigen, bei vielen, die am Ende nicht bestanden hatten, auch sehr gering war. Von daher lässt es die Schlussfolgerung zu, dass die Bereitschaft, sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen, bei einem wachsenden Anteil nicht mehr so hoch gewesen ist.
Liegt es daran, dass wir wieder im „normalen“ Leben angekommen sind und wir einfach weniger Zeit fürs Online-Lernen haben? Somit die Zeit für wirkliches Lernen geringer ist als in den Vorjahren, als Corona uns noch mehr in die eigenen vier Wände gezwungen hatte? Ich glaube ja. Diesen Effekt stelle ich übrigens auch in der Lehre an der Uni fest. Oder hatten viele sich die Ausbildung einfacher vorgestellt und nicht erwartet, dass das Regelwerk durchaus auch komplex sein kann und Regelfragen nicht einfach mit dem gängigen Fußballwissen beantwortet werden können? Wir hatten die Teilnehmenden immer wieder darauf hingewiesen, dass die kontinuierliche Auseinandersetzung wichtig ist und dass für ein erfolgreiches Abschließen die eigene Auseinandersetzung mit den Regeln wichtig ist. Diese Botschaft ist während des Lehrgangs nicht bei allen angekommen. Das war wohl unser Hauptproblem.
Wir haben aber auch gemerkt, dass 532 für einen Online-Lehrgang zu viele Teilnehmer*innen sind. Der Aufwand im ehrenamtlichen Betreuerteam, aber auch in der Geschäftsstelle des BFV in der Schiedsrichter-Abteilung sind für die weiteren administrativen Aufgaben rund um den Lehrgang natürlich extrem hoch. So hatten wir beispielsweise für die Korrektur mehr als die zunächst veranschlagten zehn Tage benötigt, um alle Prüfungen nochmal intensiv zu checken und alle Daten so aufzubereiten, um die Teilnehmer*innen oder die Schiedsrichter-Gruppen über das Ergebnis zu informieren. Wir müssen uns da dann auch die Frage stellen, ob wir diese Größe in Zukunft weiter so zulassen können. Ich bin da skeptisch.
Macht es Sinn, die Prüfung während des aktuellen Schiedsrichtermangels zu verschärfen?
Sven Laumer: Prüfungstechnisch sind wir an die Vorgaben des DFB gebunden, nicht nur bei unseren zentralen Online-Lehrgängen, sondern auch bei allen Lehrgängen in den Gruppen. Der DFB hat in der Tat im vergangenen Jahr das technische System geändert, wie Prüfungen für Neulinge gestellt werden. Wir bekommen hier für jeden Kurs in Bayern einen automatisch generierten Prüfungsbogen, den wir dann auch einsetzen müssen. Zuvor gab es wenige Standardtests für ganz Deutschland. Die Fragen, die in den Tests gestellt werden und die das Regelwissen prüfen, haben sich in den vergangenen Jahren aber nicht geändert. Sprich: Die Fragen in den Tests ändern sich jetzt kontinuierlich und sind erst kurz vor der Prüfung bekannt, was die Vorbereitung auf konkrete Fragen natürlich auch schwieriger macht. Letztlich geht es darum, den Menschen echtes Wissen mitzugeben, um eine Regelsicherheit auf dem Platz zu haben.
Haben die Schiedsrichter, die die Prüfung nicht bestanden haben, eine zweite Chance?
Sven Laumer: Klar, die Prüfung kann wiederholt werden. Diese Prüfung findet in den Gruppen vor Ort statt und wird durch die dortigen Ausbilderteams betreut. Die Online-Lernplattformen sind bis dahin weiterhin verfügbar, so dass sich jeder auf die Prüfung online und vor Ort gut vorbereiten kann. Um es auch hier nochmal deutlich zu machen: Wir wollen mit der Prüfung niemanden drangsalieren, es geht darum, das Werkzeug mitzugeben, das am Ende auf dem Platz wichtig ist. Das Regelwerk sollte sitzen, sonst wird es beim Spiel naturgemäß schwierig. Von daher kann ich jeden nur ermuntern, den zweiten Anlauf nochmals zu wagen, sich entsprechend vorzubereiten und dann auch mit einem guten Gefühl in die Spiele zu gehen.
Gibt es schon Gedanken, wie man die Quote der Neulinge in Zukunft wieder erhöhen kann?
Sven Laumer: Diese Fragen stellen wir uns laufend und probieren immer neue Wege aus. Der Online-Lehrgang war eine neue Form, wie wir die Ausbildung gestalten können. Neben anderen Konzepten wie Wochenendlehrgängen, hybriden Lehrgängen in den Gruppen, oder auch Lehrgängen in Schulen. Aber die Form des Lehrgangs ist dabei ja nur die theoretische Ausbildung.
Wesentlich wichtiger ist die Frage, wie das „Hobby Schiedsrichter“ wieder attraktiver wird. Dazu hatte uns der Verbandstag den Auftrag gegeben, auch über das Thema der Spesen nachzudenken, wo wir demnächst dem Vorstand einen konkreten Vorschlag vorlegen. Aber: Finanzielle Themen sind hier nur ein Teil der Lösung. Weitere Punkte diskutieren und fokussieren wir gerade in der neugegründeten Arbeitsgruppe 8 „SR-Gewinnung und -Erhalt“ des BFV. Auch der DFB hat 2023 zum Jahr des Schiedsrichters ausgerufen und wird mit vielen Aktionen auf die Situationen der Unparteiischen im Fußball aufmerksam machen.
Aber eine Kernsorge ist und bleibt der Umgang auf dem Platz. Der muss besser werden. Viele unserer Neulinge hören auf, wenn sie merken, wie sich der Umgang wirklich anfüllt, wenn Spieler*innen, Trainer*innen, Zuschauer*innen auf einen einreden, und das häufig mit negativer Emotionalität. Dieser Praxisschock ist für uns nach wie vor das größte Problem. Das zeigen auch unsere Zahlen. Gerade in den ersten Jahren hören viele Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter wieder auf. „Warum soll ich mir das antun?“ – diese Frage hören wir immer wieder. Deswegen war die Initiative „Ehrensache Sportplatz“ ein wichtiger erster Schritt. Ähnliche Maßnahmen brauchen wir flächendeckend, um uns immer wieder klar zu machen: Wir alle, Spieler*innen, Trainer*innen, Zuschauer*innen und auch Schiedsrichter*innen lieben den Fußball, es ist unser Sport und diesen wollen wir machen, weil es uns Spaß machen soll. Da sitzen wir alle in einem Boot, und wenn es uns nicht gelingt, dass unser Sport wieder Ehrensache wird, dann verlieren wir alle. Dem müssen wir als Fußball in Bayern gemeinsam entgegentreten.
Quelle: Uwe Kellner / fussballn.de
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