Schiedsrichter Dietmar Fuchs: "Mir ist das noch nie passiert"

Der 5. November wird so einigen Menschen in Erinnerung bleiben. Insbesondere Dietmar Fuchs. Der 62-Jährige leitete als Unparteiischer ein Fußballspiel. So, wie er es schon über viele Jahre tut. „Es war überhaupt nix besonderes, ein ganz normales Fußballspiel – bis zur 74. Spielminute“, erzählt Fuchs. Der Schiedsrichter der Schiedsrichtergruppe Kempten/Oberallgäu stand wie schon so häufig auf dem Sportplatz an der Schule in Rettenberg. Es lief das A-Klasse-Spiel zwischen den beiden zweiten Mannschaften des FC Rettenberg und des FC Türk Sport Kempten. Maximilian Spatz hatte gerade zum 4:1 für die Gastgeber getroffen, Fuchs notierte den neuen Spielstand, als ihn ein Schlag von hinten traf. Der Unparteiische sank getroffen zu Boden, war benommen und es dauerte ein paar Minuten, ehe er wieder auf den Beinen stand.
 
Der 62-Jährige wurde in die Kabine gebracht, das Spiel natürlich abgebrochen. So weit, so schlecht. Allerdings endet die Geschichte nicht an dieser Stelle und dem aus dem Spielabbruch resultierenden Sportgerichtsverfahren sowie der wahrscheinlichen Bestrafung von Spieler und Verein. Dass sie das nicht tut, ist vor allem dem FC Türk Sport Kempten und dessen Vorsitzenden Mahmut Yildirim zu verdanken.

 

 „Wir waren alle vollkommen schockiert, als das passiert ist. Ein Angriff auf den Schiedsrichter. Ich war im ersten Moment fassungslos“, erinnert sich Yildirim. Im zweiten kümmerte er sich umgehend zusammen mit Spielern seines Vereins und anderen Verantwortlichen um Dietmar Fuchs. „Natürlich habe ich mich stellvertretend für den gesamten Verein bei Dietmar entschuldigt. Der Vorfall ist nicht entschuldbar und nicht tolerierbar. Gewalt im Fußball, Respektlosigkeit gegenüber dem Schiedsrichter – da gibt es Null Toleranz bei uns. Das ist nicht das, wofür wir stehen“, so Yildirim, der sich noch gut daran erinnern kann, wie er selbst noch auf dem Platz stand und Dietmar Fuchs als Unparteiischer die Spiele leitete.

 

"Wir müssen klare Kante zeigen. Wir dulden sowas nicht“, hat Yildirim im Verein schon immer gesagt, wenn es um Gewalt, Beleidigungen oder Respektlosigkeit ging. Er weiß: „Wir haben einfach ein schlechtes Image. Schon alleine, weil wir ein türkischer Verein sind. Zur Wahrheit gehört natürlich, dass das auch an uns selbst liegt, dass Fehler gemacht wurden. Und umso schlimmer ist es, wenn dann sowas passiert.“ In seinem Verein sind das allerdings nicht nur leere Worte. Noch am Abend beruft der Verein eine Sondersitzung des Vorstands ein. Sie dauert nur kurz, dann ist der Spieler, der Fuchs attackiert hat, vom Verein ausgeschlossen. Ein Hausverbot gab es obendrauf, Türk Sport will keine Zweifel aufkommen lassen, ein solches Verhalten auch nicht im Umfeld zu dulden. Eine umgehende öffentliche Distanzierung des Vereins in den Sozialen Medien – selbstverständlich! Danach dann wieder der Griff zum Telefon, fragen, wie es Dietmar Fuchs geht und sagen, dass er die volle Unterstützung des Vereins hat, wenn er bei der Polizei Anzeige erstatten will.

 

 „Der Spieler war neu bei uns. Er kommt aus Österreich, aus Reutte direkt hinter der Grenze und hatte vor Kurzem bei uns angefragt. Er wollte unbedingt bei uns spielen. Für die erste Mannschaft hat es einfach nicht gereicht, so ist er Spieler in der zweiten Mannschaft geworden. Das soll nicht als Entschuldigung klingen, aber alle Spieler, die schon länger bei uns sind, die wissen, dass wir da als Sportverein, als Wertegemeinschaft eine ganz klare Grenze ziehen. Ich sage es allen immer wieder: Wir spielen Fußball, es ist nur Sport. Wir wollen Spaß haben und da ist kein Platz für so ein Verhalten. Es ist schlimm, aber das kam bei dem Spieler anscheinend noch nicht an“, erklärt Yildirim.

 

Auch einen Tag später klingelte bei Dietmar Fuchs noch öfter das Telefon. „Mehrere Verantwortliche von Türk Sport haben angerufen, nachgefragt, wie es mir geht und gesagt, dass sie fassungslos seien, was da auf dem Platz passiert ist. Auch Spieler. Einige hatte ich ja sogar vor Jahren noch selbst in der Jugend beim FC Kempten trainiert“, erzählt Fuchs. An den folgenden Tagen wurde es nicht unbedingt ruhiger, zumal der Vorfall durch die breite Berichterstattung bekannt wurde und dann auch bei einigen Unverbesserlichen Wasser auf die Mühlen war. „Ich habe es schon nach dem Spiel gesagt und sage es nochmal ganz klar: Das war die Tat eines Einzelnen. Der hatte einen Blackout, einen Aussetzer und natürlich hat das überhaupt nichts auf dem Fußballplatz zu suchen. Das gehört auch bestraft. Aber ich möchte keine Pauschalisierungen, dass da am Ende alle über einen Kamm geschert werden. Über den Verein und seine Reaktion kann ich nur positives sagen“, so Fuchs.

 

Mittlerweile kam es auch zu einem erneuten Wiedersehen. Der FC Türk Sport lud Fuchs am darauffolgenden Wochenende zum Heimspiel ein. Der Unparteiische nahm an, auch wenn er vorher noch selbst wieder einen Einsatz als Schiedsrichter hatte. Im Vereinsheim überreichte Mahmut Yildirim dann einen großen Korb mit lauter Leckereien, um noch einmal deutlich zu machen, dass sein Verein zu 100 Prozent hinter den Werten des Fußballs steht und dass alle im Klub den Vorfall zutiefst bedauern. „Mir ist sowas in meiner ganzen Karriere als Schiedsrichter noch nie passiert“, sagt Fuchs zu dem Geschenk und ordnet die Geste des Vereins entsprechend positiv ein. Wenn man Yildirim und Fuchs zuhört, muss man sagen: der Verein steht nicht nur hinter den Werten, er lebt sie offensichtlich auch. Das Risiko, dass es Einzelne trotzdem anders machen, besteht dabei leider immer. Auch das gehört zur Wahrheit. Aber das trifft nun mal auf jeden Verein, jede Mannschaft zu.

 

„Natürlich spielt das Thema Vorurteile auch immer wieder eine Rolle. Die gibt es ja auf beiden Seiten und alle müssen etwas dafür tun, diese abzubauen. Selbstverständlich gibt es auch Diskriminierung oder Rassismus, der unseren Spielern entgegenschlägt. Dem muss genauso konsequent entgegengewirkt werden. Wir müssen da einfach alle gemeinsam gegensteuern und vor allem miteinander und nicht übereinander reden. Nur so wird eine Eskalation verhindert“, so Yildirim. Aus diesem Grund hat er längst ein anderes Projekt angeschoben: einen gemeinsamen Abend mit allen Spielern des Vereins und den bayerischen Unparteiischen, die deren Spiele leiten. In diesem Rahmen soll das gegenseitige Verständnis wachsen, sollen andere Blickwinkel dazu führen, dass Vorfälle wie in Rettenberg der Vergangenheit angehören.

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