Der Beobachter - der fünfte Schiedsrichter im Team

Fußball-Schiedsrichter Matthias Schwarz aus Burgsalach bewertet und coacht für den Bayerischen Fußball-Verband die Unparteiischen bis in die Regionalliga, die vierthöchste Klasse Deutschlands. Damit entscheidet er mit über Auf- und Abstieg der Top-Referees. An diesem sonnigen Samstagnachmittag im Sportpark in Ansbach spielt für den Fußball-Reporter, der den Beobachter des Schiedsrichterbeobachters gibt, nicht die SpVgg Ansbach gegen den SV Heimstetten, sondern Manuel Steigerwald gegen Matthias Schwarz, wobei, das mal vorneweg, das Schiedsrichterwesen kein Gegen-, sondern ein Miteinander ist.

 

Daumen hoch oder runter? Schiedsrichter Manuel Steigerwald blickt zur Pressetribüne, gerade hätte er fast ein klares Tor nicht gegeben. Neben den Journalisten sitzt Matthias Schwarz, Schiedsrichterbeobachter. Daumen hoch, richtige Entscheidung. Schwarz setzt einen Haken auf seinem Bogen, links Spielstatistiken, rechts Platz für Notizen – es ist der Bogen, der darüber entscheiden wird, wie dieses Spiel für Manuel Steigerwald ausgeht.

 

„Sehr transparentes System“

 

Anpfiff ist für Schwarz zweieinhalb Stunden vor dem Anpfiff. Auf der Fahrt von Burgsalach nach Ansbach räumt er mit dem Bild des verdeckten Schiedsrichterbeobachters auf. „Ganz früher hat es das gegeben, aber seit Jahren ist das sehr transparent.“ Vor dem Spiel telefoniert Schwarz mit dem Schiedsrichter, vor Spielbeginn trifft er sich mit dem Schiri-Gespann im Sportheim. Assistent Sebastian Stadlmayr fragt er: „Hast den letzten Bogen vom Schwarz überlebt?“ Der Kaffee fließt, die Stimmung ist locker. Erste Erkenntnis: Der Beobachter steht zwar nicht auf dem Spielberichtsbogen, ist aber wie ein fünfter Schiedsrichter.

 

In den unteren Klassen können die Fußballer froh sein, dass überhaupt ein Schiedsrichter da ist. Doch in den höheren Ligen ist das Schiedsrichter-Dasein mit hartem Leistungsdruck verbunden. Die Spiele werden mit Noten bewertet, der Durchschnitt entscheidet über Auf- und Abstieg. Ab der Kreisliga werden die Unparteiischen entweder live vor Ort oder über TV-Übertragung von einem Schiedsrichterbeobachter, seit dieser Saison auch Coach genannt, bewertet. Die Bewertungsbögen werden ab der Bezirksliga noch einmal von einem Auswerter überprüft. Matthias Schwarz, 37, ist einer der rund 100 Coaches, die mit ihren Beobachtungen über Auf- und Abstieg der Schiedsrichter in der Landes-, Bayern- und Regionalliga entscheiden. Oft ist er beim VfB in Eichstätt, an diesem Samstag wurde er nach Ansbach geschickt.

 

Eine Stunde vor Anpfiff verabschiedet sich Schwarz mit einem „Gut Pfiff“ von Steigerwald und dessen Assistenten Stadlmayr und Johannes Lorenz. Während die sich aufwärmen, nimmt Schwarz neben dem vierten Offiziellen Martin Schikora auf der Pressetribüne Platz. Das Schiri-Gespann ist aus Mittelfranken, Unterfranken und Schwaben angereist. Klar, umsonst machen sie es nicht, aber reich wird man auch nicht. Steigerwald bekommt 200 Euro, seine Assistenten 100 Euro und Schwarz als Beobachter 30 Euro plus Fahrtkosten. Warum Schwarz es trotzdem macht? „Um meine Erfahrung weiterzugeben, die jungen Schiedsrichter weiterzuentwickeln und zurückzugeben, was mir die Schiedsrichterei gegeben hat: Persönlichkeitsentwicklung, lernen, mit verschiedenen Charakteren umzugehen und die dritte Halbzeit.“

 

14 Uhr, es ist noch keine Minute gespielt, da zuckt Schwarz. Pfiff, Freistoß Ansbach. Schwarz setzt einen Strich, zählt die gepfiffenen Fouls auf beiden Seiten, Stichwort Balance. Das Spiel plätschert, wirkt harmlos. In der Pause wird Steigerwald sagen: „Ich habe mir gesagt: Manu, lass dich von diesem Spiel nicht täuschen.“ Schwarz sagt nach zwölf Minuten: „Das sind diese gefährlichen Spiele, bei denen man meint, dass nicht viel passieren wird.“ Dann fällt das 1:0.

 

Schwarz schreibt handschriftlich, blickt kurz hoch Richtung Spiel, dann wieder auf den Bogen – würde er nicht bei jedem Pfiff zusammenzucken, man könnte ihn für einen Reporter halten. Ist er sich bei einer Szene unsicher, schaut er sie auf seinem Laptop noch einmal an, dort läuft die Übertragung auf sporttotal.tv. Seine Beobachtungen überträgt er später in einen vom Bayerischer Fußballverband (BFV) vorgegebenen Bewertungsbogen, Kategorien dort: Gesamteindruck, Spielverständnis, Zweikampfbewertung, persönliches Auftreten, Fitness und Teamarbeit. Auch die Assistenten und ihre Abseitsentscheidungen werden bewertet. „Ich protokolliere nur, was wirklich relevant ist.“ Die Bewertungskategorien auf seinem Notizzettel: Häkchen, Fragezeichen, Blitz.

 

In der 14. Minute ist Manuel Steigerwald kurz vor einem Blitz, es ist die Szene, die ihm fast das Spiel kostet. Heimstetten mit einem langen Ball in den Strafraum, Brustannahme, Mohamad Awata schießt und trifft zum 1:1 ins Tor – der Ball prallt gegen die Bande und von dort direkt wieder ins Spielfeld. Steigerwald zeigt auf Abstoß für Ansbach. Ratlosigkeit am Sportplatz. Eigentlich ein klares Tor, oder? Assistent Johannes Lorenz greift ein, die beiden besprechen sich. Steigerwald gibt das Tor. Schwarz atmet auf. „Hätte er das Tor nicht gegeben, hätte er ein Problem.“ Ein nicht gegebenes Tor zählt als Regelverstoß. Schwarz macht ein Häkchen, richtige Entscheidung, schreibt aber auch dazu: „blöde Situation“.

 

In diesen Situationen nutzt Schwarz selbst gerne den Videobeweis der Amateur-Schiedsrichter: „Sind die Spieler und Zuschauer ruhig, ist das meist ein Indiz dafür, dass nichts war.“ Platzschiedsrichter Steigerwald nutzt Schwarz als Videobeweis, der gibt ihm ein kurzes Daumensignal. Im Bogen wird ein Wahrnehmungsfehler stehen, Steigerwald meint später: „So eine Situation hatte ich noch nie und ich wüsste auch keinen Lösungsansatz.“

 

78. Minute. Aufregung vor der Pressetribüne. „Das war der eigene Mann“, rufen die Ansbach-Fans nach einem Pfiff von Steigerwald für Heimstetten. „Bist du blind?“ „Der Linienrichter steht daneben und sagt nichts. Der ist genauso blind.“ Was man eben dem Schiedsrichter so zuruft, wenn die eigene Mannschaft um den Sieg zittern muss. Schwarz hat dafür nur ein mildes Lächeln übrig. „Ich weiß gar nicht, was sie haben, das war richtig“, sagt er so leise, dass es nur der Reporter hören kann, setzt einen Strich auf seinen Bogen und lehnt sich zurück.

 

Noch nie ein „Hitze-Blitz“

 

Eine Szene, die zeigt: Schwarz beobachtet Spiele wie er pfeift. Ab und zu ein Zucken, mal eine hochgezogene Augenbraue, mal ein verschmitztes Lächeln. Kurz: die Ruhe selbst. „Ein Hitze-Blitz war ich noch nie“, wird er auf der Heimfahrt sagen und meint damit Schiedsrichter, die mit gelben Karten um sich schmeißen. Ruhige Spielleitung, viel kommunizieren – das war schon immer der Stil von Schwarz. „Während früher eine strenge Linie gewünscht war, werden die Schiedsrichter heute dazu angehalten, viel mit Persönlichkeit zu regeln.“ In Ansbach läuft bereits die 87. Minute, als Steigerwald seine erste von zwei gelben Karten zückt.

 

Am Ende geht das Spiel 4:2 für Ansbach aus. Und für Manuel Steigerwald? Nach Fouls 4:4 in der ersten und 6:9 für Heimstetten in der zweiten Halbzeit. Auf dem Zettel stehen viele Haken, zwei Fragezeichen und kein Blitz.

 

16 Uhr, Nachbesprechung. Begriffe wie „Offensiv DF“ oder „offene Abseitsfahne“ fliegen durch die Kabine. Zu der strittigen Szene beim 1:1 sagt Schwarz: „Da gibt es einen Pluspunkt für dich, Johannes.“ Er blickt zu Steigerwald und sagt: „Bei dir müssen wir schauen, wie wir das verrechnen.“ Schwarz ist jetzt nicht mehr der fünfte Schiedsrichter, sondern der erste, der Chef. Sein Fazit? „Wenige Fouls und wenige gelbe Karten, das muss man bei so einem Spiel im Abstiegskampf erstmal schaffen.“ Um 16.30 Uhr ist die Besprechung vorbei. „Sind wir out of Protokoll?“, fragt Schwarz und lacht. „Dann tut das Bier her.“ Anstoß zur dritten Halbzeit.

 

Matthias Schwarz, einer der den Fußball lebt

 

Würde man die Spieler im Fußballgebiet Jura nach dem Top-Schiedsrichter der Region fragen, würden sie wohl mit großer Mehrheit Matthias Schwarz nennen. 1999, da ist Schwarz 14 Jahre alt, denkt er sich über seine Schiedsrichter in der C-Jugend: „Das kann ich besser.“ Seitdem pfeift der heute 37-Jährige aus Burgsalach in der Jura-Süd-Gruppe. 2012 war er auf dem Sprung von der Bezirksoberliga in die Landesliga. Am Ende haben in der Bewertung wenige Punkte gefehlt. „Wenn sie dich unbedingt wollen, dann hätte ich im letzten Spiel auch den richtigen Beobachter bekommen.“ Damals sei er stocksauer gewesen, habe auch ans Aufhören gedacht. „Doch dann hat es mich doch wieder gejuckt.“ Mittlerweile hat er sich das Privileg „erpfiffen“, sich Spiele auch aussuchen zu können, zum Beispiel Relegationsspiele.

 

Seit 2012 beobachtet Schwarz Schiedsrichter, zunächst auf Bezirks-, dann auf Verbandsebene und seit der Saison 2020/21 auch in der Regionalliga. Im Verbandsschiedsrichterausschuss-Kompetenzteam, dem höchsten Gremium auf bayerischer Ebene, ist Schwarz im Ressort „Coaching und Betreuung“ mit tätig. Er wertet die Beobachtungsbögen der Landesliga Südost und Mitte aus. Um diese Aufgaben kümmert er sich meist abends oder nachts, denn hauptberuflich ist er Abteilungsleiter Produkttechnik, Arbeits- und Zeitwirtschaft bei Leoni Draht in Weißenburg und Bad Kötzting. Zudem sitzt er seit 2014 im Gemeinderat, ist seit 2011 erster Vorstand seines Heimatvereins SV Burgsalach und trainiert und spielt dort am Sonntag in der Reserve. Der 2,02 Meter große Schwarz lebt den Fußball.

 

Quelle: Bastian Mühling, Weißenburger Tagblatt

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